Bärbel Rädisch 20.10.2018
Klaus der Geiger und Marius Peters traten jüngst im Haus von Bruno Kübler in Martfeld auf. Dabei sorgten sie dafür, dass das Publikum begeistert applaudierte und drei Zugaben forderte.
Martfeld. Als eine liebevolle Verballhornung und gleichzeitige Verbeugung ist der Name des Duos Piadolla zu verstehen. „Wir spielen unter anderem die Musik Astor Piazollas, argentinischen Tango. Nur doller und mit reichlich eigener Individualität“, lautete die Aussage des Mannes an der Geige, Klaus von Wrochem. „Heute steht allerdings anderes auf dem Programm“, wiegelte er gleich ab. Mit Marius Peters, seinem 50 Jahre jüngeren Partner an der Gitarre, traten „der junge Stenz und der alte Knacker“ – so der O- Ton des dynamisch wirkenden Geigers, Jahrgang 1940 – am Donnerstag bei Gastgeber Bruno Kübler in Martfeld auf.
Der Hausherr begrüßte die dicht an dicht sitzenden Besucher: „Ich bin vom Andrang überwältigt.“ Daraufhin griff er zur Gitarre und
sang mit dem vertonten Heine-Gedicht von den Kindern, die sich im Stroh des Hühnerhauses verstecken und die Katze als Gast bewirten. Nach dem literarischen Einstieg legten die beiden Gastmusiker los. Furios war der Auftakt mit „Moskauer Nächte“ und „Misirlou“, einem griechischen Tango. Schnell zeigte sich, dass zwei Vollblutmusiker auf der Bühne standen. Beide sind akademisch ausgebildet und mit Preisen geehrt worden. Peters schloss sein Studium an der Hochschule für Musik und Tanz in Köln mit Bestnote ab. ‚Klaus der Geiger‘, wie sich der jahrzehntelang als Straßenmusiker tätige von Wrochem nennt, spielte anfangs in Sinfonieorchestern und beim WDR. Politisch engagiert lag ihm das Publikum auf der Straße mehr.
Alte Lieder wieder aktuell
Die gerade wieder aufgeflammten Proteste gegen das Fällen der Bäume im Hambacher Forst schlug sich nieder im schon älteren Song „Der Bagger der Rheinbraun“, der von der Gefräßigkeit der Stromriesen im Kohletagebau handelt, die Landschaft und Dörfer verschlingen und in der Klimakatastrophe längst auch ein Geschäft wittern. Das Stakkato des Geigenbogens auf den Saiten, begleitet vom Grollen der Gitarre, unterstrich den Text eindrucksvoll.
Das Zusammentreffen der beiden Musiker vor fünf Jahren – spontan hatte von Wrochem einfach auf der Bühne bei einem Konzert von Marius mitgemischt – ließ eine Symbiose entstehen, die ein Highlight im Leben und Wirken der beiden und für ihr Publikum wurde. In Erinnerung an ihr erstes gemeinsames Stück erklang „Autumn Leaves“ an diesem ersten Herbstabend in Martfeld nach dem endlos scheinenden Sommer. Yves Montand sang das Chanson bereits im Jahr 1945 im Film „Pforten der Nacht“. Zart die Liebeserklärung an die vierjährige Enkelin in „Nora Helene“. Die Adaption des Beatles-Songs hieß an diesem Abend „64“ und sprach von Blindheit und kaputten Knochen, was Klaus ad absurdum führte mit seinen flinken Fingern und dem Tempo des musikalischen Vortrags. Er kroch förmlich in seine Geige, stand oft nur auf einem Bein – während die Gitarre gezupft, geklopft, geschlagen wurde von Peters, der in Dialog trat, kraftvoll voranschreitend oder wehmütig dem Klang der Geige folgte.
Publikum fordert drei Zugaben
Doch keiner stahl dem anderen die Schau. Die Begeisterung des Publikums steigerte sich von Stück zu Stück. Eine verregnete
Wandertour durch Schottland inspirierte Marius Peters zu „Hills of Scotland“ und augenblicklich wähnte man sich in einem schottischen Pub. Brahms „Ungarische Tänze“ folgten nach der Pause. Gitarre und Geige neckten sich, Töne purzelten und verwoben sich, und rasant ging die Fahrt zurück zum Grundthema. „Die „Caprice 24“ von Nicolò Paganini gelten als am schwersten zu spielende Stücke auf der Violine“, schraubte der Geiger die Erwartung des Publikums vorab schon einmal in die Höhe. Ein atemberaubender Ritt mit „Twenty For“, „Neunender“ und „Pagaginata“, wie die Paganinis Titel 24, neun und fünf in der Version der beiden Piadollas betitelt sind, riss die Zuhörer zu Beifallsstürmen hin.
Eigens für Gitarrenstimme schrieb von Wrochem seinem jungen Partner Peters dessen Part quasi auf die Saiten. „Ein Bolivianer, auch Straßenmusiker, verheiratet in Deutschland, zehnjährige Tochter, wurde abgeschoben und schenkte mir eine seiner Melodien mit der Bitte, ein Lied daraus zu machen. Daraus entstand ‚Erde, wir sind deine Kinder, alle Menschen sind dein Fleisch und Blut‘, eins meiner Lieblingslieder“, wie sie erzählten. Nach dieser Aussage trugen sie eindrucksvoll Geige und Gitarre mit Liebesweisen, Wutausbrüchen, Hass, Sehnsucht nach Beständigkeit in der Sprache der Musik, vor – zwei Interpreten, die ihresgleichen an diesen Instrumenten suchen dürften. Nicht eine Zugabe, nicht zwei sondern drei forderten die restlos im Bann der Musik stehenden Besucher. Mit dem „Vampir Boogie“ endete ein Abend, der nach dem Wunsch Bruno Küblers, „bis morgen früh um sechs Uhr weitergehen könnte. Wer mag, bleibt einfach da.“
Quelle: Weser Kurier, 20.10.2018